Dienstag, 14. November 2017

Analyse epischer Texte 2

Analyse eines epischen Textes (Erzählsituation)



Der Erzähler ist nicht der real existierende Autor, sondern eine erfundene (fiktive) Figur, die die Meinung des echten Autors vertreten kann, aber nicht vertreten muss.

1. Erzählform
a) Er-/Sie-Form (Vermittler einer Geschichte)

b) Ich-Form (Beteiligter am erzählten Geschehen)


2. Erzählverhalten / Erzählperspektive
a) auktorial (Erzähler steht außerhalb des Geschehens; Urteile, Analysen, Reflexionen, Leseranrede; ironisch, neutral, wohlwollend, begeistert…; Vorgriff auf zukünftiges Geschehen; auch genannt „allwissender“ oder „olympischer“ Erzähler)

b) personal (die erzählende Person steht im Geschehen, erzählt aus der Perspektive einer Figur)

c) neutral (der Erzähler tritt als Figur zurück, erzählt aus der Distanz, bezieht nicht Stellung)


3. Formen der Rede
a) Erzählbericht (= auktorialer Erzähler)

b) Figurenrede:
- direkte Rede
- indirekte Rede
- innerer Monolog (Wiedergabe von Gedanken und Gefühlen in Ich-Form)
- erlebte Rede (Wiedergabe von Gedanken und Gefühlen in der 3. Person)
- stream of consciousness (Bewusstseinsstrom = assoziative Folge von Bewusstseinsinhalten, oft ohne Syntax)


4. Zeit und Zeitgestaltung
a) Erzählzeit (= Zeit, während der erzählt wird, meistens Gegenwart)

b) erzählte Zeit (= Zeit, über die erzählt wird, meistens Vergangenheit, aber auch Zukunft)

c) Ablauf der Erzählung:
- chronologisch (zeitlicher Ablauf, lineares Erzählen)
- zirkuläres Erzählen (Wiederholung von Handlungen, Situationen, Motiven)
- Zeitsprünge (Rückblicke, Rückblenden, Vorausblick)


5. Epische Formen

Kurzformen:
Anekdote, Fabel, Parabel, Märchen, Sage, Legende, Kalendergeschichte, Brief, Kurzgeschichte, Kürzestgeschichte

Mittelkurze Formen:
Erzählung, Novelle

Großformen:

Epos (im Mittelalter in Versform, aber kein Gedicht), ab 16. Jh.  Roman, Briefroman, historischer Roman, Dokumentarischer Roman (unter Einbezug echter Dokumente, z.B. historischer Briefe), usw.

Analyse epischer Texte 1

Epische Texte erschließen und interpretieren
(Deutschbuch 11, S. 43 ff. und 333f.)
Wiederholen Sie die Untersuchungsaspekte anhand des „Interpretationssterns“ (S. 45):

Allgemeine Aspekte
Inhalt: Handlung, Motive; Probleme, Weltanschauung; Raum- und Zeitgestaltung; Figuren(konstellation), Charakterisierung
Aussage, Thema: Worum geht es in dem Text? Interpretationsthese
Aufbau und Funktion: äußerer Aufbau (Absätze, Kapitel, Text ohne Abschnitte), innerer Aufbau (antithetisch, steigernd, episodisch usw.)

Sprachliche Gestaltung und Funktion:
-          Wortschatz: dominante Wortfelder, Fachsprache, Fremdwörter, Dialekt usw.
-          Satzbau: auffällige Phänomene, z.B. Ellipsen, komplizierte Hypotaxen, parataktischer Stil, Ausrufe, Fragesätze (rhetorische)
-          Grammatische Phänomene, z.B. Gebrauch der Konjunktive
-          Stilfiguren und Bilder: Metaphern, Vergleiche, Parallelismus usw.

Zeitgeschichtliche Kontexte:
-          Bezug zur Biografie / Herkunft des Autors
-          Bezug zu geschichtlichen Ereignissen (insbes. Historischer Roman)
-          Literaturgeschichtliche Zuordnung

Spezifische Aspekte für epische Texte
Erzählform: Er-/Ich-/Wir-Erzähler (Wer erzählt?) Der Autor ist nicht der Erzähler! Der Erzähler kann aber bestimmte Meinungen des Autors wiedergeben.
Erzählverhalten:
-          Neutral: Erzähler betrachtet das Geschehen überwiegend von außen, identifiziert sich nicht mit einer Person, kann ihre Gefühle aber darstellen. Er bleibt dabei objektiv, emotionslos.
-          Personal: Erzähler ist Teil des Geschehens, erzählt aus der Perspektive einer Person (z.B. Ich-Erzähler) und kann daher Vieles nicht wissen; die Kombination mehrerer personaler Erzähler in einem Text ist möglich.
-          Auktorial:
o   die einfache Form ist der allwissende („olympische“) Erzähler, der das Geschehen von außen betrachtet und alle Seiten kennt. Er kombiniert neutralen und personalen Erzähler und bleibt auf die Handlung bezogen.
o   Die komplexe Form ist der auktoriale Erzähler, der nicht nur allwissend ist, sondern die Erzählung durch persönliche Kommentare, Leseranrede, Analysen und Reflexio-nen und evtl. Vorgriff auf zukünftiges Geschehen anreichert. Insofern verlässt er manchmal die Handlung, schweift ab in Exkurse.
Darbietungsformen:
-          Erzählerbericht: Erzählung der Handlung ohne Ausschmückung
-          Beschreibung
-          Reflexion
-          Kommentar
-          Direkte Rede (szenisches Erzählen, ähnlich Drama)
-          Indirekte Rede (oft Stilmittel)
-          Gedankenbericht: Darstellung der Gedanken und Gefühle einer Figur; kann auch stumme indirekte Rede sein
-          Erlebte Rede: bringt Gedachtes in der 3. Person Imperfekt zur Sprache, z.B.
-          Innerer Monolog: bringt Gedachtes in der 1. Person Präsens oder Perfekt zur Sprache, z.B.
-          Erlebte Rede und innerer Monolog werden nicht durch ein entsprechendes Verb eingeleitet!
-          Bewusstseinsstrom (stream of consciousness): assoziative Folgen von ungefilterten Bewusstseinsinhalten, z.B. Gedanken, Empfindungen, Wortfetzen, Reklameslogans usw. Die Syntax wird vollständig aufgelöst, z.B.
Zeit und Zeitgestaltung
Unterscheide erzählte Zeit und Erzählzeit!
-          Erzählte Zeit: die Zeit, die das erzählte Geschehen dauert, z.B. einige Stunden oder mehrere Jahre oder Jahrzehnte.
-          Erzählzeit: die Zeit, die das Erzählen einer Geschichte dauert, also max. mehrere Stunden.
-          Erzählte Zeit und Erzählzeit sind identisch vor allem bei szenischem Erzählen (direkter Rede) = Zeitdeckung
-          Zeitdehnung: die Erzählzeit ist länger als die erzählte Zeit, z.B. bei genauer Beschreibung einer Person, eines Raums (auf der Handlungsebene passiert nichts, während der Erzähler ausführliche Beschreibungen oder inneren Monolog bringt)
-          Zeitraffung: die Erzählzeit ist kürzer als die erzählte Zeit, z.B. ein länger dauerndes Geschehen wird zusammengefasst in wenigen Worten oder vom Erzähler weggelassen.
-          Chronologie:
o   Chronologisches (lineares) Erzählen: die Reihenfolge der erzählten Ereignisse folgt dem zeitlichen Ablauf
o   Nicht-lineares Erzählen: Rückwärtserzählen, fragmentiertes (lückenhaftes) Erzählen, zirkuläres Erzählen (mit regelmäßig wiederholten Elementen), paralleles Erzählen, wiederholtes Erzählen. Typisch hierfür sind Rückblicke/Rückblenden und Vorausdeutungen, aber auch die Mischung verschiedener Diskurse (vgl. Bewusstseinsstrom s.o.) Diese Art des Erzählens ist typisch für die neuere Literatur seit James Joyce und Arno Schmidt („Zettels Traum“).

Sonderform Briefroman: besteht aus chronologisch angeordneten Briefen verschiedener Personen

Montag, 11. September 2017

Korrekturübung zur Dramenszene "Woyzeck"

Korrigiere den folgenden Text nach Rechtschreibung, Satzbau, Ausdruck und Logik!


1) Analysieren und interpretieren Sie die vorliegende Szene hinsichtlich der Beziehung zwischen Woyzeck und dem Doktor. Berücksichtigen Sie dabei auch die Funktion der Szene im gesamten Drama!
2) Setzen Sie sich mit der These, Woyzecks Mord sei eher durch Umwelt und soziale Stellung begründet als durch charakterliche und psychische Faktoren, kritisch auseinander!

1) In der vorliegenden Szene „Beim Doktor“ tauchen nur die zwei Personen Woyzeck und der Doktor auf. Sie spielt beim Doktor. In dieser Szene geht es darum, dass der Doktor den Woyzeck beim Urinieren an der Wand erwischt hat und sich über ihn ärgert. Woyzeck kommt ihm mit der Erklärung entgegen, dass ihm die Natur gekommen sei. Jedoch schüttelt der Doktor den Kopf und meint, dass der Blasenschließmuskel dem Menschen unterworfen sei. In der Mitte des Textes find Woyzeck an über seine Wahnvorstellungen zu reden. Dazu meinte der Arzt jedoch, dass er die schönste „aberratio mentalis partialis“ hätte und fragte ihn, ob er immer noch den Hauptmann rasiere und seine Erbsen esse. Alle Fragen beantwortet Woyzeck mit Ja.

Der Text „Beim Doktor“ verrät einiges über die Beziehung zwischen Woyzeck und den Doktor. Der Doktor ist ein studierter Mediziner, der denk, er sein ein intelligenter Mensch. Er steht auf der hierarchischen Leiter ganz oben. Woyzeck jedoch spiegelt die unterste Schicht wieder. Als ein Mann, der aus finanziellen Nöten einen Vertrag mit dem Doktor abschließt, der besagt, dass Woyzeck alle seine Urinproben dem Doktor überreicht und sich in einer gewissen Zeitspanne lang hauptsächlich nur von Erbsen ernährt. In den Augen des Doktors ist Woyzeck nichts weiter als ein Versuchsobjekt. Er sieht in Woyzeck keinen Menschen. Er behandelt ihn auch nicht wie einen. Daran kann man erkennen, wie sehr die Würde eines Menschen verletzt werden kann. Da Woyzeck oft über seine Wahnvorstellungen redet, denkt der Doktor, dass er durch ihn die Revolution in der Wissenschaft sprengen kann. Der Doktor interessiert sich für seine Probleme, jedoch nicht direkt für Woyzeck. In Woyzeck sieht er nur ein Objekt. Ein hilfloses Objekt, dass der obersten Schicht der Gesellschaft ausgeliefert ist. Woyzeck kann dem Doktor nicht widersprechen, da der Doktor ihn jedes Mal mit seinem gebildetem Wissen erniedrigt. Man kann aus dem Text entnehmen, dass Woyzeck fast nur einen einzigen Satz gegen den Doktor bringen kann, eher er wieder von ihm heruntergezogen wird. Außerdem kann man noch erkennen, dass der Doktor in der dritten Person redet. Er redet so, als ob Woyzeck gar nichtanwesend sei. Nicht nur, dass der Doktor arrogant ist, da er denkt, dass er gebildet sei weil er studiert hat, die Menschenwürde verletzt und auch noch Woyzeck total respektlos behandelt. Was sagt denn Woyzeck, dass der Doktor daraus entnehmen kann, dass Woyzeck verrückt sei? Er erzählt von der doppelten Natur. Die Sonne scheint am Mittag hell am Horizont. Und da man sehen kann, dass die Sonne rötlich schimmert, sieht es nun mal so aus, als würde ein Feuerball auf die Erde scheinen. Er stellt sich die Situation so vor, dass die Welt in Flammen aufgehe. Oder mit den Schwämmen auf dem Boden. Ob der Doktor schon die Figuren auf dem Boden gesehen hätte. Führen solche Aussagen zu der Erkenntnis, dass Woyzeck verrückt ist? Da fragt man sich, im Hinblick auf das Verhalten des Doktors gegenüber Woyzeck, wer von den beiden man als Verrückt bezeichnen kann. Als verrückt sollte sich der Doktor selbst bezeichnen. Was aber jedoch besser zu ihm passen würde, wäre eher der Begriff  „Arschloch“. Gute Ärzte würden sich niemals auf ein solches Niveau herablassen wie in diesem Fall der Doktor. Man behandelt seine Patienten mit Würde und versucht ihnen zu helfen und nicht sie wie ein Versuchsobjekt, aufgrund von seelischen Störungen, zu behandeln. Aber woher kommen jedoch diese Stimmen, die Woyzeck hört? Diese fürchterlichen Stimmen, wie er sagte. Bestimmt nicht vom dauerhaften Erbsen essen. Es wurde nicht wissenschaftlich belegt, dass Menschen, die sich hauptsächlich von Erbsen eine Zeit lang ernähren, völlig durchdrehen. Die Stimmen, die Woyzeck zu hören bekommt, kommen hauptsächlich durch die Unterdrückung der obersten Schicht und die nicht würdige Behandlung.

2) Woyzecks Mord an Marie hat etwas mit seiner Umwelt und sozialen Stellung zu tun. Woyzeck hatte in seinem Leben nur eine einzige Person gehabt, die ihm etwas bedeutete und woran er sich klammern konnte. Das war die Mutter seines unehelichen Sohnes. Ihr Name ist Marie. Sie war die einzige Person, mit die er Kontakt haben konnte. Kontakt in sofern, mit jemandem zu sprechen, der einem auch zuhört. Marie war sein letzter Halt. Man kann auch sagen, dass Marie sein Sinn des Lebens war. Doch aus welchen Gründen, sticht er sie ab?
Die Szene beim Doktor mit seinen Studenten spielt dabei auch eine wichtige Rolle. Als der Doktor oben am Dachfenster stand und sich mit David gleichsetzte, warf er dem Woyzeck eine Katze zu. Er wollte die Schwerkraft demonstrieren. Als Woyzeck die Katze fing, hat sie ihn gebissen. Nun, die Katze fühlte sich in diesem Moment schlecht behandelt und unterdrückt. Ihre einzige Lösung aus dieser Situation war, sich gegen diese Unterdrückung zu wehren. Deshalb hat sie den Woyzeck gebissen, weil sie sich gegen ihn wehren wollte. Genauso erging es auch Woyzeck.
Nachdem er erfuhr, dass Marie ihn mit dem Tambourmajor betrogen hatte, brach für ihn eine Welt zusammen. Er weiß, dass er gegen den obersten Stand keine Chance hatte, da er schon einmal einen Kampf gegen ihn verlor. Marie vergleiche ich hiermit mit Maria Magdalena, die ebenfalls eine Sünderin war. Woyzecks letzter Ausweg war die Ermordung Maries. Erst durch die Unterdrückung durch die oberste Schicht, wie zum Beispiel durch den Hauptmann, den Doktor und dem Tambourmajor, entstand diese Wut in ihm und die Erscheinung der Stimmen in seinem Kopf, was schließlich dazu führte, dass er Marie umbrachte. Die Schuldigen in dieser Sache blieben jedoch verschont.

Interpretation Dramenszene aus "Woyzeck" (Übung)



Übung zum Abiturtyp II: Erschließung einer Dramenszene
Textgrundlage: Georg Büchner, Woyzeck (1936), Szene „Woyzeck. Der Doktor“ (Buch S. 244)
Aufgabe:
a) Erschließen und interpretieren Sie die vorliegende Szene! Arbeiten Sie dabei insbesondere heraus, inwiefern in diesem Dialog eine Verständigung zustande kommt bzw. nicht zustande kommt und worin die Ursachen hierfür liegen.
b) Zeigen Sie ausgehend von Ihren Ergebnissen vergleichend auf, wie das Machtgefälle zwischen zwei Figuren in einem anderen literarischen Werk gestaltet wird!


Analyseschritte (vgl. Checkliste in Deutschbuch Grundwissen, S. 247-259-:

1. Zum Drama
Inhalt des Dramas in Stichpunkten (W-Fragen), falls bekannt
Einige Fakten zur literaturhistorischen Einordnung von Autor und Stück

2. Aufbau des Dramas
Um welche Form des Dramas handelt es sich?
Was bedeutet dies für die Einordnung der Szene in den Handlungsablauf, für den Handlungsaufbau und für den Höhepunkt bzw. Wendepunkt?
Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Szene?

3. Analyse der Szene
Thema, Konfliktsituation

4. Beteiligte Figuren
Charakterisierung der Figuren nach Stand, Verhalten, Absichten/Ziele, besonderen Eigenschaften, Mimik, Gestik, usw.!
a) Woyzeck                                       b) Doktor
Beziehung der Figuren zueinander (Figurenkonstellation)!

5. Analyse der Figurenrede und Sprache
Gesprächsanteile der Figuren, Veränderungen im Laufe des Gesprächs, Tempo
Sprache der einzelnen Figuren: Sprachniveau, Wortschatz, Satzbau, Bilder, rhetorische Figuren

6. Interpretation
Wissenschaftsverständnis des Doktors
Naturverständnis von Woyzeck


Gedichtinterpretation Spätromantik



Erschließen und interpretieren Sie das Gedicht Um Mitternacht von Eduard Mörike. Analysieren Sie dabei die Klangstruktur , den Rhythmus und die Reime des Gedichtes und gehen Sie auch auf die Bildersprache und die Grundstimmung des Gedichts ein.

Eduard Mörike, „Um Mitternacht“, 1838



1



5



Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
      Und kecker rauschen die Quellen hervor
      Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
          Vom Tage,
      Vom heute gewesenen Tage.



10




15
Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet’s nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht’gen Stunden gleichgeschwung‘nes Joch.
     Doch immer behalten die Quellen das Wort,
     Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
         Vom Tage,
     Vom heute gewesenen Tage.



Erwartungshorizont
A. Angaben zum Autor, Gattung (Lyrik), Entstehungszeitraum (Spätromantik), Titel (romantisches Motiv der Nacht)

Fokussierung:
Im Folgenden (In meiner Analyse) betrachte ich zunächst die äußere Form des Gedichts, vor allem den Rhythmus, die Reime und die Klangstruktur, danach erschließe ich den Inhalt, die Bildersprache und die Grundstimmung des Gedichts. Abschließend versuche ich eine Gesamtinterpretation.

B. Erschließung und Interpretation des Gedichts „Um Mitternacht“

1. Analyse der äußeren Form

1.1. Zwei Strophen zu je acht Versen, deutlich zweigeteilt 4/4: Paarreim. Metrum:
In Vv. 1-4 langsamer, getragener Rhythmus. Subjekt ist die Nacht:
- Vv. 1-2 = vierhebiger Jambus, Reim a, stumpfe/männliche Kadenz
- Vv. 3-4 = fünfhebiger Jambus, Reim b; stumpfe/männliche Kadenz
In Vv. 5-8 wesentlich schnellerer Rhythmus. Subjekt sind die Quellen/die Wasser.
- Vv. 5-6 = vierhebiger Jambus +Daktylus, Reim c, stumpfe/männliche Kadenz
- Vv. 7-8 = einhebig/dreihebiger Jambus+Daktylus, nur hier: klingende/weibliche Kadenz im Reimwort d („Tage“).
Der unreine Reim Vv. 9/10 „-lied/müd“ kann vielleicht durch den schwäbischen   Dialekt Mörikes erklärt werden, aber auch eine inhaltliche Erklärung ist möglich: die Nacht will dem Schlummerlied der Quellen nicht zuhören, der Reim wird daher nicht rein erwidert.

1.2. Klangstruktur: es gibt keine auffällige Klangstruktur. Da alle Vokale vorhanden und gleichmäßig verteilt sind, hat das Gedicht einen sehr schönen, musikalischen Klang (=typisch romantisch).

2. Analyse des Inhalts, der Bildersprache und der Grundstimmung

2.1. Inhalt, Bildersprache: Es gibt kein lyrisches Ich. Das Gedicht schildert den Beginn der „Nacht“ (V. 1), welche hier personifiziert wird als (offensichtlich riesenhafte) „Mutter“ (V. 6). Während sie ruhig „ans Land“ steigt (vgl. V. 1) und anfängt zu träumen, wird es auf der Erde Nacht, zuerst in den Bergen (vgl. V. 2).
Die Nacht sieht „um Mitternacht“, so der Titel des Gedichts, den alten und den neuen Tag zu gleichen Anteilen. Dieser Moment wird durch das Bild „goldne Waage [der Zeit in gleichen Schalen]“ (Vv. 3-4) ausgedrückt. Die Mitternacht bedeutet einen Augenblick, in dem die Zeit „stille ruh[t]“ (V.4).
Die Nacht erinnert sich (sehnsüchtig?) in einer dreifachen Synästhesie („Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch“, V. 11) an den vergangenen Tag, den sie regelmäßig ablöst (vgl. das Bild „gleichgeschwung’nes Joch“, V.12).
Die Kinder der Nacht sind die „Quellen“ (Vv. 5, 13), die ihre Mutter bei ihrer Träumerei stören, weil sie pausenlos „rauschen“ (V. 5) und vom „heute gewesenen Tage“ (Vv. 8, 16) erzählen, wobei sie ihrer Mutter ein „Schlummerlied“ „singen“ (Vv. 6, 9, 14). Obwohl die Mutter es missachten möchte (vgl. V.10), schläft sie schließlich ein (vgl. V. 14). Die Quellen „behalten [...] das Wort“ (V. 13), d.h. sie setzen ihr Rauschen fort, auch als die Mutter schon schläft.

2.2. Grundstimmung: Während die ersten vier Verse jeder Strophe durch ihren   langsamen Rhythmus die Träumerei der Nacht unterstreichen und verkörpern, ist die Stimmung in den Versen 5-8 jeweils ganz anders, (durch den Daktylus) bewegter, voller Geräusche, was dem lebhaften Fluss der Quellen entspricht. Die Doppelung „Vom Tage, / Vom heute gewesenen Tage“ (Vv. 8, 16) wirkt wie eine Stromschnelle, über die das Wasser hinweghüpft.

3. Interpretation
Die beiden Subjekte, Nacht und Wasser, verkörpern einen unterschiedlichen Umgang mit der  Zeit. Während die Nacht langsam heraufzieht und um Mitternacht sogar verharrt, vor und zurück blickt und von der Schönheit des Tages träumt, fließen die Quellwasser immer weiter, nur in eine Richtung und mit nur einem Thema: sie erzählen vom vergangenen Tag. Während das Wasser und sein Geplapper immer weiter gehen, schläft die Nacht ein (und muss später wieder dem Tag weichen). Obwohl die Nacht eindeutig mächtiger wirkt, ist sie den Quellen unterlegen.

Übertragen auf die Menschenwelt, könnte das Gedicht zwei menschliche Charaktere beschreiben: bedächtige, träumerisch veranlagte Menschen, und aktive, aber eher oberflächliche Charaktere. Das Gedicht wirkt aber vor allem durch die suggestiven Bilder und den abwechslungsreichen Rhythmus.


C. Bilderwelt und Klang des Gedichts wirken nach in Malerei (z.B. Gerhard Richter, Seestück) und Musik (z.B. Hugo Wolf).

Gedichtinterpretation Romantik



Erwartungshorizont – Thema A – Gliederung -- Vorschlag für die Ausformulierung

Erschließen und interpretieren Sie das Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ (1802) von Clemens von Brentano! Analysieren sie dabei genau die Klangstruktur und die Reime des Gedichtes und gehen Sie auch auf die Zeitgestaltung und die Grundstimmung des Gedichts ein.



Clemens Brentano, „Der Spinnerin Nachtlied“, 1802

Erschließen und interpretieren Sie das Gedicht. Analysieren Sie dabei die Klangstruktur und die Reime des Gedichtes und gehen Sie auch auf die Zeitgestaltung und die Grundstimmung des Gedichts ein.


1
Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall,
Das war wohl ßer Schall,
Da wir zusammen waren.

5
Ich sing und kann nicht weinen,
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein,
So lang der Mond wird scheinen.


10
Da wir zusammen waren,
Da sang die Nachtigall,
Nun mahnet mich ihr Schall,
Daß du von mir gefahren.



15
So oft der Mond mag scheinen,
Gedenk ich dein allein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns vereinen.




20
Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall,
Ich denk bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.


Gott wolle uns vereinen,
Hier spinn ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing und möchte weinen!




A. Angaben zum Autor Clemens Brentano, Gattung (Gedicht in Form eines Volkslieds), Entstehungszeit (Hochromantik), romantische Elemente bereits im Titel des Gedichts (Nacht, Lied)

Fokussierung:

Im Folgenden (In meiner Analyse) betrachte ich zunächst die äußere Form des Gedichts, vor allem auch die Klangstruktur und die Reime, danach erschließe ich den Inhalt und die Zeitgestaltung und gehe dabei auch auf die Grundstimmung des Gedichts ein. Abschließend versuche ich eine Gesamtinterpretation.


B. Erschließung und Interpretation des Gedichts „Der Spinnerin Nachtlied“


I. Analyse der äußeren Form

  1. Sechs Strophen à vier Verse (= Volksliedstruktur), Versmaß 3-hebiger Jambus, imitiert das Drehen des Spinnrads (ebenso wie die Klangstruktur, s.u.); Verse 1 und 4 jeweils mit weiblicher Kadenz, Verse 2 und 3 mit männlicher Kadenz, Reimschema abba-cddc-abba-cddc usw., umarmender Reim;
  2. Reimwörter b „Nachtigall/Schall“ und c „allein/rein“ in allen betreffenden Strophen gleich; zirkuläre Struktur: Reimschema wie Ringelreihen oder Kinderlied durch die häufige Wiederholung der gleichen Reimwörter.
  3. Klangstruktur: Überwiegen der Vokale a, i und ei. Reimwörter b in Strophen mit weiteren Reimwörtern mit Vokal a (Jahren/waren/gefahren); Reimwörter d in Strophen mit weiteren Reimwörtern mit Diphthong ei (weinen/scheinen/vereinen). Ketten- und Ringform dieser Reimwörter, z.B. weinen – scheinen – scheinen – vereinen – vereinen – weinen. Störung der Ringform durch „waren“ (V. 20), dadurch aber dreimalige Wiederholung und Betonung des Verses „… wir zusammen waren“ (V. 4, 9, 20).


II. Analyse des Inhalts, der Zeitgestaltung und der Grundstimmung des Gedichts

1.       Inhalt: Erinnerung einer jungen (?) Spinnerin (= lyrisches Ich) an früheres Liebesglück, vielleicht durch den Tod des Geliebten beendet; Wunsch nach Vereinigung mit dem Geliebten durch Gottes Hilfe..

2.       Romantische Motive zur Verbindung zwischen dem Einst und dem Jetzt: Sehnsucht; Nacht /Mond, Nachtigall/Gesang/Schall, Zusammensein/Einsamkeit, reines Herz. Das Motivereservoir ist begrenzt und tritt in immer neuen Kombinationen auf > Sinnentleerung, Konzentration auf Klang.

3.       Zeitgestaltung: Doppelung einzelner Verse in den Tempora Vergangenheit und Gegenwart, z.B. „Es sang (…) die Nachtigall / Da sang die Nachtigall / Singt stets die Nachtigall“ (Vv. 1-2, 10, 18) usw. Wirkung: Auflösung der Zeitstruktur; Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart, teilweise auch Futur („So lang der Mond wird scheinen / Der Mond scheint klar und rein“) oder Konjunktiv bei Wünschen (vgl. V. 16, 21).

4.       Grundstimmung: Wehmütige Erinnerung an glückliche Zeiten mit dem Geliebten, Traurigkeit und Einsamkeit in der Gegenwart. Betonung von Reinheit und Klarheit (der Gefühle), Nacht und Gesang als Möglichkeiten, mit dem (toten ?) Geliebten in Verbindung zu treten.


III. Gesamtinterpretation (mögliche Ansätze)

1.       Sehnsucht nach der Einheit mit dem Geliebten (Einheit als gesamtromantisches Motiv), Verklärung der Nacht (Mond) und der Musik (Nachtigall, süßer Schall, singen) als Medien der Erinnerung und der Überschreitung von Realität; Eins-Werden mit dem Geliebten.
      2.       Sprache als Musik: Kreisbewegung, Wiederholungen, Beschwörung, Magie der Sprache

3.       Musik statt Tränen, Musik als Trost, Musik als Sphärenklang (Mond).
      4.       Auflösung der rationalen Zeitstruktur, Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart. 
      5.       Bedeutungsverlust der Inhaltsebene, Aufwertung des musikalischen Klangs der Sprache und ihrer Assoziationskraft



C. Romantische Lied-Kompositionen z.B. von Franz Schubert als logische Umsetzung der romantischen Vorstellung der Einheit von Poesie und Musik. [oder: Literaturgeschichtliches Vorbild: die mittelalterlichen Rundlieder.]