Montag, 11. September 2017

Gedichtinterpretation Romantik



Erwartungshorizont – Thema A – Gliederung -- Vorschlag für die Ausformulierung

Erschließen und interpretieren Sie das Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ (1802) von Clemens von Brentano! Analysieren sie dabei genau die Klangstruktur und die Reime des Gedichtes und gehen Sie auch auf die Zeitgestaltung und die Grundstimmung des Gedichts ein.



Clemens Brentano, „Der Spinnerin Nachtlied“, 1802

Erschließen und interpretieren Sie das Gedicht. Analysieren Sie dabei die Klangstruktur und die Reime des Gedichtes und gehen Sie auch auf die Zeitgestaltung und die Grundstimmung des Gedichts ein.


1
Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall,
Das war wohl ßer Schall,
Da wir zusammen waren.

5
Ich sing und kann nicht weinen,
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein,
So lang der Mond wird scheinen.


10
Da wir zusammen waren,
Da sang die Nachtigall,
Nun mahnet mich ihr Schall,
Daß du von mir gefahren.



15
So oft der Mond mag scheinen,
Gedenk ich dein allein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns vereinen.




20
Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall,
Ich denk bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.


Gott wolle uns vereinen,
Hier spinn ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing und möchte weinen!




A. Angaben zum Autor Clemens Brentano, Gattung (Gedicht in Form eines Volkslieds), Entstehungszeit (Hochromantik), romantische Elemente bereits im Titel des Gedichts (Nacht, Lied)

Fokussierung:

Im Folgenden (In meiner Analyse) betrachte ich zunächst die äußere Form des Gedichts, vor allem auch die Klangstruktur und die Reime, danach erschließe ich den Inhalt und die Zeitgestaltung und gehe dabei auch auf die Grundstimmung des Gedichts ein. Abschließend versuche ich eine Gesamtinterpretation.


B. Erschließung und Interpretation des Gedichts „Der Spinnerin Nachtlied“


I. Analyse der äußeren Form

  1. Sechs Strophen à vier Verse (= Volksliedstruktur), Versmaß 3-hebiger Jambus, imitiert das Drehen des Spinnrads (ebenso wie die Klangstruktur, s.u.); Verse 1 und 4 jeweils mit weiblicher Kadenz, Verse 2 und 3 mit männlicher Kadenz, Reimschema abba-cddc-abba-cddc usw., umarmender Reim;
  2. Reimwörter b „Nachtigall/Schall“ und c „allein/rein“ in allen betreffenden Strophen gleich; zirkuläre Struktur: Reimschema wie Ringelreihen oder Kinderlied durch die häufige Wiederholung der gleichen Reimwörter.
  3. Klangstruktur: Überwiegen der Vokale a, i und ei. Reimwörter b in Strophen mit weiteren Reimwörtern mit Vokal a (Jahren/waren/gefahren); Reimwörter d in Strophen mit weiteren Reimwörtern mit Diphthong ei (weinen/scheinen/vereinen). Ketten- und Ringform dieser Reimwörter, z.B. weinen – scheinen – scheinen – vereinen – vereinen – weinen. Störung der Ringform durch „waren“ (V. 20), dadurch aber dreimalige Wiederholung und Betonung des Verses „… wir zusammen waren“ (V. 4, 9, 20).


II. Analyse des Inhalts, der Zeitgestaltung und der Grundstimmung des Gedichts

1.       Inhalt: Erinnerung einer jungen (?) Spinnerin (= lyrisches Ich) an früheres Liebesglück, vielleicht durch den Tod des Geliebten beendet; Wunsch nach Vereinigung mit dem Geliebten durch Gottes Hilfe..

2.       Romantische Motive zur Verbindung zwischen dem Einst und dem Jetzt: Sehnsucht; Nacht /Mond, Nachtigall/Gesang/Schall, Zusammensein/Einsamkeit, reines Herz. Das Motivereservoir ist begrenzt und tritt in immer neuen Kombinationen auf > Sinnentleerung, Konzentration auf Klang.

3.       Zeitgestaltung: Doppelung einzelner Verse in den Tempora Vergangenheit und Gegenwart, z.B. „Es sang (…) die Nachtigall / Da sang die Nachtigall / Singt stets die Nachtigall“ (Vv. 1-2, 10, 18) usw. Wirkung: Auflösung der Zeitstruktur; Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart, teilweise auch Futur („So lang der Mond wird scheinen / Der Mond scheint klar und rein“) oder Konjunktiv bei Wünschen (vgl. V. 16, 21).

4.       Grundstimmung: Wehmütige Erinnerung an glückliche Zeiten mit dem Geliebten, Traurigkeit und Einsamkeit in der Gegenwart. Betonung von Reinheit und Klarheit (der Gefühle), Nacht und Gesang als Möglichkeiten, mit dem (toten ?) Geliebten in Verbindung zu treten.


III. Gesamtinterpretation (mögliche Ansätze)

1.       Sehnsucht nach der Einheit mit dem Geliebten (Einheit als gesamtromantisches Motiv), Verklärung der Nacht (Mond) und der Musik (Nachtigall, süßer Schall, singen) als Medien der Erinnerung und der Überschreitung von Realität; Eins-Werden mit dem Geliebten.
      2.       Sprache als Musik: Kreisbewegung, Wiederholungen, Beschwörung, Magie der Sprache

3.       Musik statt Tränen, Musik als Trost, Musik als Sphärenklang (Mond).
      4.       Auflösung der rationalen Zeitstruktur, Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart. 
      5.       Bedeutungsverlust der Inhaltsebene, Aufwertung des musikalischen Klangs der Sprache und ihrer Assoziationskraft



C. Romantische Lied-Kompositionen z.B. von Franz Schubert als logische Umsetzung der romantischen Vorstellung der Einheit von Poesie und Musik. [oder: Literaturgeschichtliches Vorbild: die mittelalterlichen Rundlieder.]

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